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Landwirtschaft und Ernährung um 1840

Anfang der modernen Landwirtschaft

Bis ins 19. Jahrhundert waren etwa rund 80 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Zwischen 1750 und 1850 vollzog sich in der Schweiz langsam der Übergang zu einer modernen Landwirtschaft. Unter der sogenannten Agrarrevolution wurden unter anderem die Fruchtwechselwirtschaft und eine verstärkte Viehwirtschaft eingeführt. Die Menschen bauten Futterklee und Kartoffeln in der Fruchtfolge an, die Fütterung des Viehs ergab mehr Mist. Neu wurde dieser in Gruben gesammelt und zur Düngung grosser Flächen eingesetzt. Dadurch stiegen die Erträge. Dies bedeutete aber nicht, dass die Bauern reich wurden, ganz im Gegenteil: Ein Grossteil von ihnen lebte in Armut.

Kartoffel, Rösti und Fäule

Im 16. Jahrhundert brachten Seefahrer die Knolle nach Europa und schon bald war sie auch in der Schweiz verbreitet. Zu Beginn war sie lediglich eine Zier- und Gartenpflanze. Nach und nach wurde sie zum Nahrungsmittel, war aber lange wegen der Giftigkeit der Pflanze mit Vorurteilen behaftet. Sie galt als Essen für Arme und als Viehfutter.

Erst nach der Hungerkrise von 1816/1817 wurde die Kartoffel ein Grundnahrungsmittel. Sie warf höhere Erträge ab als Getreide, benötigte jedoch viel Dünger und Handarbeit. Vor allem aber brauchte es eine überzeugende Vermarktung, denn die Skepsis gegenüber der exotischen Knolle war gross. Mit grossem Geschick gelang es letzlich, ein Rezept für ein «typisch schweizerisches» Gericht hervorzubringen: die Rösti.

Es waren kaum dreissig Jahre seit der Hungerkrise vergangen, als 1845 die verheerende Kartoffel- und Kräuterfäule Europa heimsuchte. Rund die Hälfte der Ernte wurde vernichtet. Unsere Gegend traf die Kartoffelfäule besonders hart, da viele Menschen von der Kartoffel abhängig waren. Die Fäule führte zwar nicht zu einer erneuten Hungersnot, verschärfte aber die Armut noch mehr, was Menschen zur Auswanderung bewegte.

«Vom Gletscher geformt, von der Reuss geprägt, vom Menschen gestaltet»

Die Reuss ist mit ihren 164,4 Kilometern der viertlängste Fluss der Schweiz. Ursprünglich hiess die Reuss Silenen, um 1296 dann Rusa und vom 16. bis 19. Jahrhundert vereinzelt Ursa. Sie entspringt zwischen Furka und Oberalp, fliesst bei Flüelen in den Vierwaldstättersee, verlässt diesen in Luzern und mündet bei windisch in die Aare.

Bei Honau befindet sich die Grenze der Kantone Luzern, Zug und Aargau. Von da an fliesst die Reuss gegen Norden. Seit 1803 liegt ihr unterer teil im Kanton Aargau; oberhalb wurden die alten Landes- zu Kantonsgrenzen. Die Dörfer in der Reussebene dagegen kannten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein keine Flussgrenze: Gemeinde- und Privatland liegen noch heute an beiden Ufern.

Das Reusstal war wegen des mäandrierenden Flusses häufig von Hochwasser betroffen. Schon im 16. Jahrhundert versuchten Menschen, Uferverbauungen zu errichten. Diese halfen aber wenig. Mit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bis noch vor einigen Jahrzehnten galten die Auen als Störfaktoren.

Die Flussläufe wurden durch Kanal- und Dammbauten begradigt. Damit wollte man Hochwasserschäden vermindern und zusätzliche Landwirtschaft- und Siedlungsfläche gewinnen. Die Auenwälder wurden gerodet, und mit wehrbauten wurde der Geschiebehaushalt der Reuss reguliert. In knapp 200 Jahren gingen schweizweit 71 Prozent der Auenflächen verloren, im Aargau sogar 88 Prozent.

Mit der Kantonsgründung 1803 hatte der junge Staat Aargau dauernd mit der Sanierung der Reussebene zu kämpfen. Der alte Hochwasserdamm längs des westlichen Reussufers war um die Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet worden. Insgesamt waren die Korrektionen über Jahrhunderte aber ohne längerfristigen Nutzen. Erst seit der kantonsübergreifenden Reusstalsanierung von 1971 bis 1985 lässt sich die Talsohle landwirtschaftlich nutzen.

Nachweise und Literaturtipps

Bossard-Borner Heidi, Interview vom 2. Dezember 2022 mit dem Büro für Geschichte.

Die Reussebene. Landschaft von nationaler Bedeutung, Mai 2009, Flyer: https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/naturschutzgebiete/flyer/flyer_reussebene.pdf.

Geschichte der sozialen Sicherheit in der Schweiz, Arme, Juni 2021: https://www.geschichtedersozialensicherheit.ch/akteure/profile-von-betroffenengruppen/default-85ad0625d1.

HLS, Agrarrevolution: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013827/2011-03-23/.

HLS, Kartoffel: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013858/2017-11-16/.

HLS, Landwirtschaft: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013933/2007-11-19/#H19.-20.Jahrhundert.

HLS, Reuss: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008771/2011-12-23/.

Kanton Aargau, Umwelt, Auen im unteren Reusstal: https://www.ag.ch/de/verwaltung/bvu/umwelt-natur-landschaft/natur-und-landschaftsschutz/auenschutzpark-aargau/die-auengebiete/auen-im-unteren-reusstal.

Schär Bernhard C., Rösti und Revolutionen. Zur postkolonialen Re-Lektüre der Schweizer Geschichte, in: Widerspruch: Beiträge zu sozialistischer Politik, Band 37, Heft 72 Postkoloniale Verstrickungen der Schweiz, 2018, S. 9-20: https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=wis-001%3A2018%3A37%3A%3A418.

Schelbert Bruno, Abteilung Landschaft und Gewässer, Kanton Aargau, Auenschutzpark Aargau, Tätigkeitsbericht 2015, Januar 2016: https://www.ag.ch/media/kanton-aargau/bvu/umwelt-natur/natur-und-landschaftsschutz/auenschutzpark-aargau/jahresberichte/uag-70-35-taetigkeitsbericht-asp-2015.pdf.

Siegrist Jean Jacques, Das Reusstal im geschichtlichen Rückblick, erschienen im 1982 für den Regierungsrat des Kantons Aargau, abrufbar auf der Webseite der Stiftung Reusstal: https://www.stiftung-reusstal.ch/wp-content/uploads/2016/05/Reusstal-Geschichte.pdf.

Stiftung Reusstal, Webseite: https://www.stiftung-reusstal.ch/natur-landschaft/entwicklung/landschaftsgeschichte/.

Stiftung Reusstal, Die Reussebene: vom Gletscher geformt, von der Reuss geprägt, vom Menschen gestaltet. Ein Film von Josef Fischer, Dieter Müller, Patrik Hunziker und Pascal Föhn aus dem Jahr 2000. Abrufbar auf: https://www.stiftung-reusstal.ch/stiftung/ .

Stiftung Reusstal, Wozu uns die Stiftungsurkunde verpflichtet: https://www.stiftung-reusstal.ch/wp-content/uploads/2017/09/2013_0627_Flyer_Stiftung-Reusstal_Web.pdf.

Swissinfo, Wie karg Schweizer früher lebten: https://www.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/freilichtmuseum-ballenberg_wie-karg-schweizer-frueher-lebten/44041176.

Zentralplus, Avanzini Jana, 12.6.16: https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/als-sich-die-luzerner-von-aas-und-gras-ernaehrten-741537/.

Bildnachweise

Abb. 1: Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau, MsWettF 16: 1, S. 454, e-codices, Schweizer Chronik, Christoph Silbereisen, 1576.

Abb. 2: Toggenburger Museum Lichtensteig, Zeichnung der Hungersnot 1816.

Abb. 3: Wikipedia gemeinfrei, Henry Doyle, 1868, aus: Mary Frances Cusacks An Illustrated History of Ireland from AD 400 to 1800.

Abb. 4: Schweizerisches Nationalmuseum, LM-26187, Druckgrafik, Zeichner Ludwig Georg Vogel, Zürich, Johannes Ruff, Hasler & Cie Basel, N. Weiss, Familie am Mittagstisch.

Abb. 5: Staatsarchiv Aargau, Aarau, P.01/0163, Karte des Reusslaufs von Hans Conrad Gyger, 1648.

Abb. 6: Fotograf Josef Fischer, April 2023, Reuss mit Kiesbank.

Abb. 7: Schweizerisches Nationalmuseum, LM-144934, Aquatinta, Künstler Joseph Martignoni, Druckerei H.F. Leuthold Zürich, um 1848, Artillerie und Pontoniere bei Lunnern.

Abb. 1: Feldarbeit im Mittelland, Illustration von 1576. Knapp dreihundert Jahre später sah die Feldarbeit in dieser Gegend nicht viel anders aus. Die Mechanisierung befand sich noch in den Kinderschuhen. Hauptsächlich wurde von Hand und mit einfachen Hilfsmitteln gearbeitet.

Abb. 2: Zeichnung von 1816, dem «Jahr ohne Sommer». Hier wird das Toggenburg dargestellt, wo Menschen Gras essen. Ein Vulkanausbruch in Indonesien hatte einen Dauerregen zur Folge. Die meisten Menschen kannten die Ursache nicht und interpretierten die Hungersnot als Zeichen des Himmels.

Abb. 3: Menschen verlassen Irland wegen der Kartoffelfäule, Bild um 1868. Irland traf die Fäule besonders schwer, aber auch in der Schweiz kam es zur Auswanderung.

Abb. 4: Das Tischgebet im Kanton Bern, 19. Jahrhundert: Zur Essenszeit versammelt sich die Bauernfamilie um eine Schüssel Kartoffeln – hier mit Käse und Schinken, vermutlich ist es Sonntag. Die Kartoffel wurde im 19. Jahrhundert für einen grossen Teil der Bevölkerung zur Nahrungsgrundlage. In den Hungerjahren wurde sie auch zu Mehl verarbeitet, das mit Getreidemehl vermischt wurde.

 

Abb. 5: Reusslauf zwischen Oberlunkhofen und Hermetswil im Kanton Aargau. Diese südwestorientierte Karte wurde 1648 vom Zürcher Kartograf Hans Conrad Gyger erstellt. Er erfasste den Verlauf des stark mäandrierenden Flusses mit Kompass und Schrittzähler. Gyger schlug vor, zwei Flussschlingen zu begradigen (auf der Karte die Abschnitte C und D).

Abb. 6: Kiesbank unweit von Lunnern (bei Obfelden), 2023. Auch heute greifen Menschen in das Reusstal ein, jedoch mit einem anderen Ziel: dem Naturschutz. Seit Ende der 1970er Jahre ist ein Umdenken im Gang. 1993 wurde die Volksinitiative «Auenschutzpark» lanciert und angenommen. Seither ist der Kanton Aargau der einzige Kanton, der den Auenschutz auf Verfassungsstufe verankert hat.

Abb. 7: Gefecht bei Lunnern 1847, Aquatinta, um 1848. Dargestellt sind die Artillerie und die Pontoniere der Tagsatzungstruppen. Das Überqueren der Reuss war eine Herausforderung, da die gesamte Talsohle ein Sumpfgebiet war. Zu sehen sind ausserdem die Weidensträucher entlang der Reuss. Die Naturbeschaffenheit des Reusstals rückt heute wieder zunehmend in den Fokus.

Tafeltexte & Bilder

Nachweise und Literaturtipps

Bossard-Borner Heidi, Interview vom 2. Dezember 2022 mit dem Büro für Geschichte.

Die Reussebene. Landschaft von nationaler Bedeutung, Mai 2009, Flyer: https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/naturschutzgebiete/flyer/flyer_reussebene.pdf.

Geschichte der sozialen Sicherheit in der Schweiz, Arme, Juni 2021: https://www.geschichtedersozialensicherheit.ch/akteure/profile-von-betroffenengruppen/default-85ad0625d1.

HLS, Agrarrevolution: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013827/2011-03-23/.

HLS, Kartoffel: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013858/2017-11-16/.

HLS, Landwirtschaft: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013933/2007-11-19/#H19.-20.Jahrhundert.

HLS, Reuss: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008771/2011-12-23/.

Kanton Aargau, Umwelt, Auen im unteren Reusstal: https://www.ag.ch/de/verwaltung/bvu/umwelt-natur-landschaft/natur-und-landschaftsschutz/auenschutzpark-aargau/die-auengebiete/auen-im-unteren-reusstal.

Schär Bernhard C., Rösti und Revolutionen. Zur postkolonialen Re-Lektüre der Schweizer Geschichte, in: Widerspruch: Beiträge zu sozialistischer Politik, Band 37, Heft 72 Postkoloniale Verstrickungen der Schweiz, 2018, S. 9-20: https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=wis-001%3A2018%3A37%3A%3A418.

Schelbert Bruno, Abteilung Landschaft und Gewässer, Kanton Aargau, Auenschutzpark Aargau, Tätigkeitsbericht 2015, Januar 2016: https://www.ag.ch/media/kanton-aargau/bvu/umwelt-natur/natur-und-landschaftsschutz/auenschutzpark-aargau/jahresberichte/uag-70-35-taetigkeitsbericht-asp-2015.pdf.

Siegrist Jean Jacques, Das Reusstal im geschichtlichen Rückblick, erschienen im 1982 für den Regierungsrat des Kantons Aargau, abrufbar auf der Webseite der Stiftung Reusstal: https://www.stiftung-reusstal.ch/wp-content/uploads/2016/05/Reusstal-Geschichte.pdf.

Stiftung Reusstal, Webseite: https://www.stiftung-reusstal.ch/natur-landschaft/entwicklung/landschaftsgeschichte/.

Stiftung Reusstal, Die Reussebene: vom Gletscher geformt, von der Reuss geprägt, vom Menschen gestaltet. Ein Film von Josef Fischer, Dieter Müller, Patrik Hunziker und Pascal Föhn aus dem Jahr 2000. Abrufbar auf: https://www.stiftung-reusstal.ch/stiftung/ .

Stiftung Reusstal, Wozu uns die Stiftungsurkunde verpflichtet: https://www.stiftung-reusstal.ch/wp-content/uploads/2017/09/2013_0627_Flyer_Stiftung-Reusstal_Web.pdf.

Swissinfo, Wie karg Schweizer früher lebten: https://www.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/freilichtmuseum-ballenberg_wie-karg-schweizer-frueher-lebten/44041176.

Zentralplus, Avanzini Jana, 12.6.16: https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/als-sich-die-luzerner-von-aas-und-gras-ernaehrten-741537/.

Bildnachweise

Abb. 1: Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau, MsWettF 16: 1, S. 454, e-codices, Schweizer Chronik, Christoph Silbereisen, 1576.

Abb. 2: Toggenburger Museum Lichtensteig, Zeichnung der Hungersnot 1816.

Abb. 3: Wikipedia gemeinfrei, Henry Doyle, 1868, aus: Mary Frances Cusacks An Illustrated History of Ireland from AD 400 to 1800.

Abb. 4: Schweizerisches Nationalmuseum, LM-26187, Druckgrafik, Zeichner Ludwig Georg Vogel, Zürich, Johannes Ruff, Hasler & Cie Basel, N. Weiss, Familie am Mittagstisch.

Abb. 5: Staatsarchiv Aargau, Aarau, P.01/0163, Karte des Reusslaufs von Hans Conrad Gyger, 1648.

Abb. 6: Fotograf Josef Fischer, April 2023, Reuss mit Kiesbank.

Abb. 7: Schweizerisches Nationalmuseum, LM-144934, Aquatinta, Künstler Joseph Martignoni, Druckerei H.F. Leuthold Zürich, um 1848, Artillerie und Pontoniere bei Lunnern.